
Inhaltsverzeichnis
- Wenn der Wunsch, dünn zu sein, größer ist als der Wunsch zu leben
- Warum ist die Magersucht die gefährlichste aller psychischen Störungen?
- Welche Merkmale weist das Krankheitsbild auf?
- Welche Ursachen hat die Anorexie?
- Welchen Einfluss hat die Erkrankung auf das Familiensystem?
- Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?
Wenn der Wunsch, dünn zu sein, größer ist als der Wunsch zu leben
Die Magersucht (auch: Anorexia nervosa, Anorexie) ist durch eine drastische Reduktion des Körpergewichts durch Hungern und permanente Gewichtskontrolle gekennzeichnet. Betroffene leiden zudem an einer verzerrten Körperwahrnehmung – sie nehmen ihren Körper trotz starken Untergewichts als zu dick wahr. Die Gedanken der Betroffenen kreisen ununterbrochen um Nahrung, Kalorientabellen und die Waage. Das eigene Hungergefühl wird fortlaufend unterdrückt. Ist die Krankheit schon fortgeschritten, kann es dazu kommen, dass Betroffene die Fähigkeit verlieren, ihr Hungergefühl überhaupt wahrzunehmen. Die anfängliche Reduktion der Nahrungsaufnahme kann bis zur fast gänzlichen Nahrungsverweigerung führen.
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Warum ist die Magersucht die gefährlichste aller psychischen Störungen?
Als Folge der gravierenden Mangelernährung kommt es in besonders vielen Fällen zu einem lebensbedrohlichen Untergewicht. Aufgrund dessen ist der Körper häufig nicht mehr in der Lage lebenswichtige Organe mit Nährstoffen zu versorgen, was verheerende Folgen mit sich bringt: Die Sterblichkeitsrate bei Anorexie-Patienten ist die höchste aller psychischen Erkrankungen. Für 5-20 Prozent endet die Krankheit tödlich. Zudem entwickelt rund ein Viertel der Betroffenen nach Überwindung der akuten Krankheitsphase eine Bulimie (Ess-Brech-Sucht). Selbst wenn sich das Gewicht normalisiert hat, besteht bei etwa der Hälfte der Betroffenen weiterhin für den Rest des Lebens eine verzerrte Einstellung zu Gewicht und Figur.
Welche Merkmale weist das Krankheitsbild auf?
Neben dem exzessiven Fasten kommt es häufig zum Missbrauch von Abführmitteln und Entwässerungstabletten sowie zu übermäßiger körperlicher Aktivität. Betroffene entwickeln im Krankheitsverlauf diverse Strategien, um weiter an Gewicht zu verlieren.
Beim Auftreten folgender Symptome ist eine Diagnose gerechtfertigt:
- Körpergewicht liegt gewollt unter 15% des Normalgewichtes
- Ein BMI (Body-Mass-Index) von 17,5 oder weniger
- Vermeidung von hochkalorischer Nahrung
- Wenn es zu Maßnahmen wie übermäßiger Aktivität, selbstinduziertem Erbrechen, Missbrauch von Abführ-/Entwässerungsmittel sowie von Appetitzüglern oder Diuretika kommt
- Bestehen einer Körperschemastörung (hochgradige Angst vor dem Dick werden)
- Endokrine Störungen wie Libido- und Potenzverlust bei Männern, Ausbleiben der Regelblutung bei Frauen
- Veränderung des Hormonhaushalts (Steigerung des Wachstumshormons und Stresshormons Cortisol sowie des Schilddrüsenhormonhaushalts)
- Bei Krankheitseintritt in der Pubertät kann es zu Verzögerung der körperlichen Entwicklung kommen
Welche Ursachen hat die Anorexie?
Bei der Entwicklung der Magersucht spielen viele Faktoren eine Rolle. Neben den möglichen genetischen Einflüssen kommt es zunehmend vor, dass Anorektiker*innen einen erhöhten Serotoninspiegel aufweisen, welcher zum frühzeitigem Sättigungsgefühl führen kann. Zudem sind folgende Merkmale charakteristisch für Anorexie-Patienten: Versagensängste, leistungsorientiertes- und perfektionistisches Verhalten, hohe Intelligenz, ängstliches- oder angepasstes Verhalten sowie ein geringes Selbstwertgefühl.
Da Kindheitserfahrungen einen starken Einfluss auf unsere Entwicklung haben, können traumatische Ereignisse in der Kindheit die Entstehung der Magersucht begünstigen. Eine häufige Ursache ist die mangelnde Autonomie, welche beispielsweise dadurch entstehen kann, dass Eltern überfürsorglich sind. Durch exzessives Hungern und das damit verbundene Gefühl der Kontrolle erleben Betroffene Selbstdisziplin, Autonomie, Macht und Unabhängigkeit, die sie sonst so nicht erleben können. Das führt in vielen Fällen dazu, dass Erkrankte sich isolieren, da Hilfe anzunehmen ihre vermeintlich positiven Gefühle und die damit verbundene Unabhängigkeit bedrohen könnte. Dennoch empfinden Betroffene ein starkes Bedürfnis nach Nähe.
Eine Magersucht bildet sich häufig in Phasen der Lebensveränderung wie beim Eintritt der Pubertät. Insbesondere für Mädchen geht mit der körperlichen Veränderung eine Überforderung der “plötzlich” eintretenden Weiblichkeit einher, welche durch die starke Gewichtsreduktion verzögert wird.
Ebenfalls begünstigend für die Entstehung einer Magersucht ist das Schönheitsideal der westlichen Kultur. Die hauptsächlich durch die Medien definierte Ansicht, dass Perfektion über die Figur gemessen wird, bestärkt insbesondere junge Frauen darin, diesem Ideal nachzueifern.
Welchen Einfluss hat die Erkrankung auf das Familiensystem?
Durch das Gefühl von Verzweiflung und Hilflosigkeit seitens der Eltern, hat die Erkankung einen erheblichen Einfluss auf die Familie. Da die Nahrungsaufnahme nicht erzwungen werden kann, verfügen Betroffene unbewusst über ein Macht- und Druckmittel, womit sie bestehende Konflikte im Familiensystem stark steuern können. Oft herrscht in betroffenen Familien starke Spannung zwischen den Familienmitgliedern. Ein hoher elterlicher Anspruch gute Leistungen zu erbringen und stets diszipliniert zu sein, kann von Betroffenen auf die Figur bezogen werden. In der Regel neigen Familien mit diesen Tendenzen dazu, Konflikte nicht auszutragen, was ebenfalls die Entstehung einer Magersucht begünstigen kann.
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?
Die besten Aussichten der Heilung sind dann gegeben, wenn die Krankheit noch nicht weit fortgeschritten ist. Folgende Therapiemöglichkeiten haben sich bei der Therapie der Anorexie als wirkungsvoll erwiesen:
- Kognitive Verhaltenstherapie
- Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
- Psychoanalyse
- Familientherapie
Neben den psychotherapeutischen Verfahren ist es in vielen Fällen hilfreich, geschlechtsspezifische Behandlungen durchzuführen. Ziel der Therapie ist es, neben der Gewichtszunahme eine gesunde Beziehung zum Essen herzustellen, sodass sich wieder eine Normalisierung des Essverhaltens entwickeln kann. Da die Magersucht unter anderem als – wenn auch destruktive – Bewältigungsstrategie für bestehende Konflikte dient, wird in der Therapie, nach der Aufarbeitung der tiefliegenden Ursachen, daran gearbeitet gesunde und hilfreiche Copingstrategien zu entwickeln.
Quellenangaben
- Herzog, W., Friedrich, H. C., Wild, B., Löwe, B., Zipfel, S. (2006). Magersucht. In: Therapeutische Umschau. Band 63. Heft 8. S. 539-543. hogrefe.
- Galle, P., Geldner, G., Hecht, J., Königsrainer, A., Pajonk, F. G., Rojahn, J. (2016). Die gefährlichste psychische Krankheit. In: Lege artis - Das Magazin zur ärztlichen Weiterbildung. Band 6. Ausgabe 1. George Thieme.
- Herpertz, S. (2012). Essstörungen. In: Rüger, R. (2012). Psychodynamische Psychotherapien. 4. Aufl. S. 235-244. Springer.
- Bundesfachverband Essstörungen e.V. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ANAD e.V. Ess-stoerungen.net Hungrig-Online e.V.