Binge-Eating: Folgen für Körper und Psyche - Selfapy
Zurück 21 Dec 2021 · 7 min lesezeit
von Nora Blum

Die Binge-Eating-Störung ist durch wiederkehrende Essanfälle gekennzeichnet. Dabei werden große Mengen von Nahrungsmitteln in einer bestimmten Zeitspanne vertilgt. Hier erfährst du, woran du eine Binge-Eating-Störung erkennst und welche Folgen Binge-Eating hat.

Die Binge-Eating-Störung (im Englischen „binge eating disorder“) ist eine psychische Erkrankung, bei der es zu wiederkehrenden Essanfällen kommt. Das Wort „binge“ ist Englisch und bedeutet übersetzt „Gelage“. Binge-Eating bedeutet also so viel wie „Fressgelage“ oder „Orgie“. Obwohl Binge-Eating zu den häufigsten Essstörungen noch vor Magersucht und Bulimie zählt, ist die Krankheit kaum erforscht.

Was ist Binge-Eating?

Du willst wissen: „Was ist Binge-Eating-Störung eigentlich genau?“ Wie Magersucht und Bulimie zählt Binge-Eating zu den Essstörungen. Binge Eating ist durch wiederkehrende Essanfälle gekennzeichnet. Diese dauern bis zu mehreren Stunden. Die Betroffenen vertilgen dabei große Mengen an Nahrungsmitteln. Genuss, Hunger und Sättigung spielen keine Rolle. Charakteristisch ist unkontrolliertes Essen. Die Nahrung wird so lange hineingestopft, bis es zu einem unangenehmen Völlegefühl oder Bauchschmerzen kommt. Wann der Essanfall begonnen und wann er geendet hat, können die Betroffenen häufig nicht mehr angeben.

Binge-Eating: Definition

Binge-Eating-Störung: ICD 10
  • In der 10. Ausgabe der "Internationalen Klassifikation der Krankheiten" (englisch: "International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems"), kurz ICD-10, wird Binge-Eating nicht als eigenständige Krankheit aufgelistet. Obwohl sie häufiger als Anorexia nervosa und Bulimie vorkommt, wird sie unter "Nicht näher bezeichnete Essstörungen" (F50.)) klassifiziert. Auch unter F50.4 "Essattacken bei anderen psychischen Störungen" kann sie eingeordnet werden. Zum Beispiel, wenn jemand als Reaktion auf ein belastendes Ereignis wie Unfall, Tod oder Krankheit zu viel isst. Im ICD-11, der gerade in Arbeit ist, soll Binge-Eating eine eigene Klassifikation erhalten.
Binge-Eating-Störung: DSM-5: in der fünften Auflage des "Diagnostischen und statistischen Leitfadens psychischer Störungen" (englisch: "Diagnostic and Statistical Manual of mental Disorders") kurz, DSM-5, wurde Binge-Eating inzwischen als eigenständige Diagnose aufgenommen.

Binge-Eating: Symptome

Die Binge-Eating-Störung lässt sich gut von Essstörungen wie Magersucht und Bulimie abgrenzen. Binge-Eating ist durch wiederkehrende Essanfälle gekennzeichnet, bei denen Kontrollverlust auftritt. In einem begrenzten Zeitraum, zum Beispiel zwei Stunden, wird eine große Menge Nahrung aufgenommen. Diese Menge ist um einiges größer als das, was die meisten Menschen in einem ähnlichen Zeitraum zu sich nehmen würden. Zwar werden auch bei Bulimie große Mengen an Nahrung in kurzer Zeit gegessen, doch ist die Kalorienzufuhr beim Binge Eating noch um ein Vielfaches größer.

Wichtig als Abgrenzung der Binge-Eating-Störung zur Bulimie oder zu Essanfällen bei Magersucht ist daher:

  • Die Essanfälle treten nicht ausschließlich während einer Magersucht oder Bulimie auf.
  • Es werden keine Maßnahmen ergriffen, um die Nahrung wieder loszuwerden, zum Beispiel Erbrechen, exzessiver Sport, Abführmittel oder Hungern.

Um eine Binge-Eating-Störung zu diagnostizieren, müssen bestimmte Symptome vorliegen. Diese sind im DSM-5 aufgeführt.

Symptome Esssucht

  • Mindestens ein Essanfall tritt pro Woche auf, und zwar über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten. 
  • Es besteht ein deutliches Leiden infolge der Essanfälle.
  • Es werden keine kompensatorischen Maßnahmen ergriffen.
  • Während des Essanfalls tritt ein Kontrollverlust auf und es werden große Nahrungsmengen verzehrt.

Zusätzlich müssen mindestens drei der folgenden Symptome auftreten:

  • Es wird wesentlich schneller gegessen als normalerweise („Schlingen“).
  • Es wird bis zu einem starken und unangenehmen Völlegefühl gegessen.
  • Es werden große Nahrungsmengen gegessen, ohne körperlich Hunger zu verspüren.
  • Aus Scham wird alleine gegessen.
  • Nach dem Essanfall: Ekel vor sich selbst, große Schuldgefühle und/oder Depression.

Unkontrolliertes Essen

Wenn du dich in den genannten Symptomen wiederfindest, hast du höchstwahrscheinlich eine Binge-Eating-Störung. Doch nicht immer ist Binge-Eating durch so exzessives Verhalten gekennzeichnet. Vielleicht hast du schon mal gemerkt, dass du den ganzen Tag nur am Essen bist? Im Unterschied zu Bulimiker*innen können Menschen mit Binge-Essstörung Beginn und Ende einer Essattacke manchmal gar nicht mehr erkennen. Sie essen ohne geplante Mahlzeiten und über den ganzen Tag verteilt. Experten sprechen hierbei ebenfalls von Essanfall, da du auch hier deine Nahrungsaufnahme nicht mehr kontrollieren kannst.

Binge-Eating-Störung: Test

Du möchtest wissen, ob du unter Binge-Eating leidest? Der IDRlabs-3-Minuten-Binge-Eating-Essstörungstest (IDR-3MBEDT) verrät es dir: https://www.idrlabs.com/de/3-minute-binge-eating/test.php

Binge-Eating: Ursachen

Binge-Eating ist bisher noch wenig erforscht. Daher weiß man auch noch nicht genau, welche Ursachen der Essstörungen zugrunde liegen. Experten vermuten, dass verschiedene Einflussfaktoren an der Entstehung und Aufrechterhaltung von Binge-Eating beteiligt sind. Dazu gehören unter anderem ein niedriges Selbstwertgefühl, Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und häufige Diäten. Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) haben Betroffene vermehrt Diäterfahrungen gemacht.

Auch problematische Vorbilder in der Familie, die zum Beispiel durch striktes Diät-Halten oder Überessen auffallen, können Binge-Eating bedingen. Weitere mögliche Einflussfaktoren sind:

  • Übergewicht und Adipositas (Fettleibigkeit)
  • gering ausgeprägte soziale Unterstützung
  • depressive Symptome

Zwar finden sich in Programmen zur Gewichtsreduktion vergleichsweise viele Menschen mit Binge-Eating-Störung. Dennoch sind Übergewicht und Adipositas nicht zwangsläufig verknüpft mit einer Binge-Eating-Essstörung. Zu viel essen kann auch ohne krankhaftes Essverhalten auftreten. Der Unterschied zwischen Übergewicht mit und ohne Binge-Eating: Menschen ohne Binge-Eating-Störung können ihr Essverhalten kontrollieren. Sie essen häufig bewusst mehr und genießen das Essen oftmals – auch in Gesellschaft. Menschen mit einer Binge-Eating-Störung essen in Gesellschaft normal oder auch sehr kontrolliert. Ihre Essanfälle finden hinter verschlossenen Türen statt. Und: Nicht jeder, der von Binge-Eating betroffen ist, hat Übergewicht. Übergewicht und Adipositas sind also kein notwendiges Kriterium für Binge-Eating, sie können aber ein Risikofaktor sein.

Binge-Eating: Auslöser

Auslöser für die Erkrankung ist in vielen Fällen ein Zusammenspiel von Übergewicht und Kränkungen im Hinblick auf Aussehen und Gewicht. Auslöser für die Essanfälle sind häufig Stress und negative Stimmungen wie Wut, Frust, Angst, Trauer, Langeweile oder Depression. Allerdings hast du vielleicht auch schon einmal bemerkt, dass positive Emotionen bei dir eine Essattacke ausgelöst haben. Die Erklärung: Dein Essanfall dient vornehmlich dem Spannungsabbau, er reguliert überschießende Gefühle. Daher fühlen sich Binge-Eater nach einem Essanfall oft leer und wie betäubt, bevor dann wieder Scham und Wut auf das eigene Versagen einsetzen.

Binge-Eating: Häufigkeit

Anders als bei Magersucht und Bulimie, bei denen ein großer Anteil der Betroffenen weiblich ist, ist Binge-Eating bei beiden Geschlechtern ungefähr gleich häufig vertreten. Laut Schätzungen ist etwa ein Drittel bis die Hälfte der Betroffenen männlich. Binge-Eating beginnt meistens im jungen Erwachsenenalter. Aber auch späterer Beginn ab dem 40. oder 50. Lebensjahr ist möglich. Und auch Kinder und Jugendliche können schon eine Binge-Eating-Störung entwickeln.

Binge-Eating: Folgen

Egal ob Anorexia, Bulimia, Binge-Eating – Essstörungen haben Folgen für Körper und Psyche. Die körperlichen Esssucht-Folgen zeigen sich vor allem in Übergewicht und den damit verbundenen Folgeschäden.

Binge-Eating: körperliche Folgen

  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen 
  • Herzinfarkt
  • Bluthochdruck
  • Diabetes
  • Schlaganfall
  • Gelenkerkrankungen
  • Wirbelsäulenschäden
  • Atem- und Schlafstörungen

Binge-Eating-Störung: Folgen für die Seele

Auch die Psyche leidet unter den unkontrollierten Essanfällen. Menschen mit Binge-Eating fühlen sich in der Regel durch ihr Übergewicht und die Essanfälle sehr belastet. Sie ziehen sich zurück und meiden soziale Kontakte und Situationen, in denen ihr Aussehen und ihr Körper bewertet und thematisiert werden könnten, wie Fitnessstudios, Schwimmbäder oder Partys.

Binge-Eating: Psychische Folgen

  • Resignation
  • Flucht in Tagträume
  • Antriebslosigkeit
  • Depression
  • Hass auf den eigenen Körper
  • Vermeiden von Spiegeln
  • Sozialer Rückzug
  • Probleme, die eigenen Grenzen zu spüren
  • Probleme, Hunger und Sättigung wahrzunehmen
  • Alkoholmissbrauch
  • Ängste
  • Zwangsverhalten wie zwanghaftes Putzen und Waschen

Zusätzlich kann es zu hohen Verschuldungen kommen, denn Essanfälle kosten nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Die benötigten Lebensmittel sind teuer.

Binge-Eating und Depression

Depression ist die häufigste psychische Begleiterkrankung bei Binge-Eating. Etwa die Hälfte der Betroffenen litt oder leidet unter Depressionen. Vielleicht kennst du auch diese negative Gedankenspirale, die dich immer tiefer runterzieht? Das Selbstwertgefühl ist im Keller, und nicht selten kommt es zu Selbsthass und Selbstvorwürfen. „Ich kann nichts“, „Ich bin nichts wert“, „alle anderen sind besser als ich“, das sind typische Gedanken, die in einer Depression und auch bei Binge-Eating auftreten. Dabei ist noch nicht geklärt, ob eine Depression die Esssucht hervorruft oder umgekehrt Binge-Eating verstärkt zu Depression führt. Neben Depression sind auch Angststörungen unter Personen mit Binge-Eating-Störung verbreitet.

Binge-Eating: Den Teufelskreis verlassen

Der Teufelskreis an negativen Gefühlen und Gedanken führt in eine Abwärtsspirale: Esssüchtige ziehen sich immer weiter zurück, die Einsamkeit ruft neue Essanfälle hervor, das Gewicht steigt weiter und die Betroffenen ziehen sich noch weiter zurück. Gleichzeitig dienen die Pfunde auch als Schutz vor der Außenwelt. Doch das muss nicht so bleiben. Die Aussichten auf Heilung sind gut. Es gibt wirksame Therapien für eine Binge-Eating-Störung. Hier erfährst du, welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt.

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Ein Artikel von

Nora Blum Gründerin und CEO · Psychologin

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Quellenangaben

  1. Arbeitsgemeinschaft Essstörungen (AES) (o. D.). Binge-Eating – Essanfälle. Was kann ich tun?https://static1.squarespace.com/static/589dc4492994caaa85c4dc85/t/59db66959f8dce3ebe5bd92e/1507550870942/AES_Binge-Eating.pdf
  2. Arbeitsgemeinschaft Essstörungen (AES) (o. D.). Binge-Eating, Essattacken. https://www.aes.ch/bingeeating
  3. AWMF online (2021, Februar). Patienteninformation. Essstörungen. https://www.awmf.org/fileadmin/user_upload/Leitlinien/051_D-Ges_Psychosom_Med_u_aerztliche_Psychotherapie/051-026ki_S3_Essstoerung-Diagnostik-Therapie_2021-02.pdf
  4. Arbeitsgemeinschaft der medizinischen Fachgesellschaften (202o). S-3-Leitlinie Diagnostik und Behandlung der Essstörungen. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/051-026l_S3_Essstoerung-Diagnostik-Therapie_2020-03.pdf
  5. Arbeitsgemeinschaft der medizinischen Fachgesellschaften (2015). Patientenleitlinie. Diagnostik und Behandlung von Essstörungen. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/051-026p_Essstoerungen_2015-06_01.pdf
  6. Bayerische Akademie für Sucht und Gesundheitsfragen (2015, 9. April). Informationspapier Essstörungen. https://www.bas-muenchen.de/fileadmin/documents/pdf/Publikationen/Papiere/BAS_UG_Informationsblatt_Essstörungen_Suchtforum_2015_TN_150409_final.pdf
  7. Bundesfachverband Essstörungen (BFE) (o. D.). Binge-Eating-Disorder. https://www.bundesfachverbandessstoerungen.de/essstoerungen/essstoerung-mit-essanfaellen-binge-eating-disorder.php
  8. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA), (Hrsg.) (o. D.). Essstörungen. Arbeit mit Selbsthilfegruppen. (Ausgabe 4.15.6.04, 1. Überarbeitete Fassung)
  9. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA), (Hrsg.) (2000, Oktober). Essstörungen – Leitfaden für Eltern, Angehörige, Partner, Freunde, Lehrer und Kollegen. Ausgabe 4.30.05.04, 1. Überarbeitete Auflage.
  10. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) (Hrsg.) (2004, Juli). Essstörungen … was ist das? Ausgabe 1.150.7.04, 1..
  11. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) (o. D.). Binge-Eating-Störung.
    https://www.bzga-essstoerungen.de/was-sind-essstoerungen/arten/binge-eating-stoerung/?L=0
  12. Essstörungen Aargau (2021). ICD-10 und DSM-V.
    https://essstörungen-aargau.ch/de/Therapeutische-Fachpersonen/Diagnostik/DSM-IV-und-ICD-10
  13. Herpertz, S., de Zwaan, M., Zipfel, S. (2008). Handbuch Essstörungen und Adipositas. Springer.
  14. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (o. D.). F50.- Essstörungen. https://www.icd-code.de/icd/code/F50.0-.html
  15. IDRlabs.com (2021). Der 3-Minuten-Binge-Eating-Test. https://www.idrlabs.com/de/3-minute-binge-eating/test.php
  16. Netzwerk Essstörungen (o.D.). Diagnosekriterien DSM V. Diagnostische Kriterien für Essstörungen. https://www.netzwerk-essstoerungen.at/diagnosekriterien-dsm-iv/
  17. Nolte A. (2013). Essstörungen. Hilfe bei Anorexie, Bulimie und Binge-Eating. Stiftung Warentest 
  18. Österreichische Gesellschaft für Essstörungen (o. D.). Arten von Essstörungen. https://www.oeges.or.at/Essstoerungen/Arten-von-Essstoerungen/
  19. Wingenfeld, K. (o. D.) Vorlesung: Psychopathologie und Psychiatrische Krankheitslehrer. Essstörungen. Charité Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie https://psychiatrie.charite.de/fileadmin/user_upload/microsites/m_cc15/psychiatrie/lehre_psychologie/S5-Essstörungen_Wingenfeld.pdf
  20. Zentralinstitut für Seelische Gesundheit. ZI-Mannheim. (o. D.). Vorlesung: Essstörungenhttps://www.zi-mannheim.de/fileadmin/user_upload/downloads/lehre/vorlesungen/psm/2018/UaK_Essstoerungen.pdf
  21. de Zwaan, M. & Friedrich, H. C. (2006). Binge Eating Störung. Therapeutische Umschau. Band 63, 2006, Heft 8 https://www.klinikum.uni-heidelberg.de/fileadmin/Psychosomatische_Klinik/Essstoerung/BingeEatingStoerung.pdf   

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